Dieses Interview wurde zuerst in Migros Magazin veröffentlicht. Sie können das Original hier sehen.
Was macht Sinn im Leben? Was macht mich glücklich? Es sind Fragen, die sich nur jemand stellen kann, der ohne Geldsorgen aufgewachsen ist. Jemand wie Cédric Waldburger (28), der an der ETH Zürich, einer der renommiertesten Hochschulen, studierte, der nicht um einen Job bangen und schon gar nicht ums Überleben kämpfen muss.
Glück, dieses grosse Wort, nimmt auch Cédric Waldburger in den Mund. Er sagt, er wolle bewusst leben und dabei immer möglichst glücklich sein. Diesen Entschluss hat er gefasst, als er nach Abschluss seines Elektrotechnik-Studiums bei einem Softwareunternehmen in London arbeitete. Seine Kollegen kamen in kurzer Zeit zu Geld. Eine grössere Wohnung, ein potenteres Auto mussten her.
Cédric Waldburger beobachtete, sah weder nachhaltige Zufriedenheit noch besonders grosses Glück und zog für sich den Schluss: so nicht. Besitz bedeutet ihm nicht viel.
In London fragte er sich: «Welche waren die Momente, in denen ich wirklich glücklich war in meinem Leben?» Er musste nicht lange überlegen: Immer dann, wenn er etwas verstanden hatte. «Aha-Momente», sagt er, «machen mich glücklich.»
Und die Freiheit, sich eigene Ziele zu stecken.
Tagsüber studieren, nachts programmieren
Cédric Waldburgers Leben ist gespickt mit Aha-Momenten. Er wächst in Rapperswil am Zürichsee in einem bürgerlichen Elternhaus auf. Sein Cousin, ein paar Jahre älter als er, kann Mitte der 90er-Jahre ein wenig programmieren und zeigt dem damals achtjährigen Cédric, wie das geht. Dieser versucht, scheitert – und dann … ein «Aha!».
Cédric bringt sich eine Programmiersprache nach der anderen bei, ist fasziniert davon, wie der Computer ausführt, was er ihm befiehlt. Mit 14 Jahren baut er zusammen mit seinem Pfadileiter und heutigen Geschäftspartner Fabian Villiger die erste Website für die Pfadi Rapperswil. Es ist die Zeit, als jede noch so kleine Bude im Internet präsent sein will. Die beiden verdienen sich ein gutes Taschengeld.
Als Waldburger 18 ist, gründen sie ihre Werbeagentur, die Mediasign AG. Während seiner Zeit an der ETH macht Waldburger Doppelschichten: von 8 bis 18 Uhr studieren, danach bis nach Mitternacht programmieren.
Waldburger sitzt am Stadtrand von Rapperswil auf der Terrasse einer ehemaligen Orgelfabrik, die er und sein Geschäftspartner gekauft und umgebaut haben. Als die Agentur mit einem Dutzend Mitarbeitenden lief, hat sich Waldburger aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und seine Wanderjahre angetreten: London, Hongkong, New York. Überall hat er in jungen Techfirmen mitgearbeitet.
«Ich will immer etwas dazulernen», sagt er. Und er hat gründlich gelernt. Die Kombination von Managementerfahrung und IT-Kenntnissen ist gefragt. Das weiss Waldburger, und das gibt ihm dieses entspannte Selbstbewusstsein eines Menschen, der weiss, dass er scheitern kann und trotzdem gewinnt.
Waldburger hat sein Geld in 15 Onlinefirmen investiert. In fünf von ihnen ist er in der Geschäftsleitung. Er will erschaffen, ermöglichen. Sein zeitintensivstes Baby ist zurzeit Sendtask, eine Software, die das Zusammenarbeiten erleichtern soll.
Er ist es gewohnt, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die Tausende von Kilometer entfernt sind. Seine acht Sendtask-Angestellten wohnen in sieben verschiedenen Ländern. Waldburger managt digital. Alle paar Monate trifft sich das Team irgendwo auf der Welt, diskutiert, arbeitet, hat Spass. Es ist die Generation, die Arbeit und Freizeit längst nicht mehr trennt.
Im Schnitt vier Tage am gleichen Ort
Für seine Firmen ist er ständig unterwegs, trifft Investoren, Mitarbeiter, Geschäftspartner. Allein im Mai war er in Hongkong, Bali, Miami, San Francisco, New Orleans, Washington, Frankfurt, Berlin, Amsterdam, Bangkok und Jakarta. Und ein paar Tage in der Schweiz. Im Schnitt ist er vier Tage am Stück an einem Ort. Er weiss es genau, denn er führt Buch.
Seit Jahren listet er auch auf, was er besitzt. Es war ihm schon länger klar, dass er das meiste davon nicht braucht. Letzten Sommer zog er die Konsequenzen: Er kündigte seine Wohnung in Zürich und verschenkte seinen Hausrat. Seither lebt Cédric Waldburger aus 55 × 40 × 23 Zentimetern – einem Handgepäckkoffer.
Waldburger schläft in Hotels, mietet Wohnungen auf Zeit und kommt oft bei Freunden unter, für die er vorher kaum Zeit hatte.
«Ich bin schon eine eher extreme Version», reflektiert Cédric Waldburger seine Lebensweise – ein extremer Vertreter der Generation Why (Warum), der Generation, die nicht einfach den Wohlstand ihrer Eltern verwalten will, sondern dieses Leben hinterfragt.
Er will nicht Optionen haben, er will sie nutzen. «Das Leben geht so schnell vorbei.»