[Interview] Talking Lifestyle With The Zürich Times

Dieses Interview wurde zuerst in der Zürichsee-Zeitung veröffentlicht. Sie können das Original hier sehen.

Sie haben keine eigene Wohnung, kein Auto – und besitzen auch sonst nur 64 Dinge. Welches ist der sinnloseste Gegenstand, der Ihnen gehört?
Cédric Waldburger: Ich besitze keine sinnlosen Gegenstände. Ich finde es spannend, allem einen Sinn zu geben. Nur wenn ein Gegenstand für mich einen Sinn hat, hat er auch eine Berechtigung, dass ich ihn jeden Tag mit mir herumtrage. Ich lebe aus meinem Handgepäck-Koffer und habe deshalb meinen gesamten materiellen Besitz auf die wichtigsten Gegenstände reduziert.

Haben Sie das Gefühl, dass viele Menschen Materiellem zu viel Sinn beimessen?
Ich muss nicht möglichst wenig oder immer exakt 64 Dinge besitzen. Was uns allen gut täte, wäre die Frage: Hat der Gegenstand einen Mehrwert oder braucht er nur von meiner Zeit? Wenn jemand Platten sammelt und damit gute Erinnerungen verbindet, macht das Sinn und ich würde es genauso handhaben.

Warum machen Sie es trotzdem anders?
Ich möchte einfach möglichst flexibel leben und meine Entscheidungen danach richten, was mir wirklich wichtig ist im Leben und nicht danach, welche Sachen ich in meinem Leben habe. Ich habe alle Dinge wegrationalisiert, die ich nicht brauche. Besitze ich zu viel, könnte ich nicht mehr gleich frei entscheiden. Würde ich ab morgen für längere Zeit in San Francisco oder Berlin gebraucht, könnte ich nicht weg, weil die Opportunitätskosten zu hoch wären und ich mich etwa um Auto oder Wohnung kümmern müsste.

Sind Sie im Umgang mit Ihren 64 Gegenständen emotionslos?
Ja. Alles, was ich besitze, kann ich ersetzen, falls es mir gestohlen wird, kaputt geht oder was auch immer damit passiert. Das würde mich zwar ein paar Franken kosten, tut aber ansonsten nicht weh.

Gibt es trotzdem irgendwo noch einen Ort, wo sie spezielle Gegenstände – etwa eine Erinnerung an Ihre Kindheit – zwischengelagert haben?
Nein, das habe ich wirklich alles weg gegeben. Meine Mutter hat soviel ich weiss irgendwo ein paar Plüschtiere versteckt, die ich los werden wollte. Sie hat das Gefühl, dass man nicht alles wegwerfen muss, und hat deshalb auch entsprechend profitiert, als ich letztes Jahr meine Wohnung aufgegeben habe – jetzt besitzt sie das eine oder andere Küchengerät mehr. Ich persönlich verbinde mehr mit Menschen und Orten, die ich gerne besuche.

Wie haben Sie es geschafft, Ihre Wohnung leerzuräumen?
Meine linke Hirnhälfte ist sehr stark ausgeprägt und ich mag es, vieles in meinem Leben zu quantifizieren. Ich habe vor einigen Jahren angefangen zu erfassen, was ich besitze. Das wurde zu einem Spiel: Wie kann ich die Anzahl Gegenstände reduzieren, ohne dass ich in meiner Lebensqualität eingeschränkt werde? Alle 90 Tage schaue ich, was ich in den letzten 90 Tagen gebraucht habe und was ich in den nächsten 90 Tagen brauchen werde. Innerhalb von 180 Tagen erlebt man kalte und warme Tage, Freizeit und Business-Termine. Dinge, die man in diesem halben Jahr immer noch nicht gebraucht hat, wird man wohl nie mehr brauchen.

Spielt der 90-Tage-Rhythmus auch bei Ihren persönlichen Entscheidungen eine Rolle?
Alle 90 Tage versuche ich einmal inne zu halten und zu schauen, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ich habe 12 Lebensbereiche, die ich analysiere. Dazu gehört etwa geschäftlicher und finanzieller Erfolg, Freunde und Familie oder Gesundheit und Fitness. Ich schreibe auf, wie es mir in diesen Bereichen geht. Sehe ich Defizite, beurteile ich, was ich in den nächsten 90 Tagen anders machen muss. Ich möchte bewusst leben und immer möglichst glücklich sein. Mit diesem System schaffe ich das.

Es hat sicher auch System, dass sie praktisch nur schwarze Gegenstände besitzen – oder hat das einen tieferen Sinn?
Nein, es hat vor allem pragmatische Gründe. Genau so wie ich versuche Besitzgüter zu reduzieren, versuche ich auch unnötige Entscheidungen zu minimieren. Eine, die ich mir so sparen kann: In welcher Farbe kaufe ich mir etwas. Ein schwarzes Modell gibt es praktisch immer. Dann gibt es weitere Gründe: Schwarz passt immer zusammen, man kann alle Kleider zusammen waschen. Und die Bettwäsche in Hotels ist meist weiss. Die Chance dass ich beim raschen Packen etwas auf dem Bett liegen lasse und verliere ist deshalb deutlich geringer.

Sie haben in mehrere Online-Shops oder in eine App für lustige Sprüche von jungen Leuten investiert. Wie wählen Sie ein Startup aus, das sie unterstützen wollen?
Einerseits gehe ich davon aus, dass Amazon längerfristig nicht in die Schweiz kommt. Deshalb unterstütze ich E-Commerce Modelle in Nischenmärkten in der Schweiz. Andrerseits investiere ich auch in digitale Modelle. Das sind Firmen, die um 1000 bis 10 000 Kunden wachsen können, ohne dass man auf Firmenseite Leute einstellen muss, sondern einfach automatisch ein weiterer Server dazu kommt. Das ist etwa bei der Jodel-App so.

Wollen Sie einfach nur Geld verdienen?
Ich bin Unternehmer, entsprechend müssen Erfolgsrechnung und Bilanz stimmen. Ich glaube aber auch, dass es eine Art Naturgesetz gibt. Angebote müssen einen Mehrwert bieten, damit die Leute bereit sind dafür zu zahlen. Ich finde wichtig, dass eine Dienstleistung das Leben der Kunden besser macht.

Sie sagen von sich selbst, dass sie besonders an den ersten 24 Monaten eines Unternehmens interessiert sind. Wie langfristig ist ihr Engagement?
Fünf Unternehmen habe ich selbst gegründet, bei neun Firmen habe ich investiert. Bei allen bin ich noch dabei, keines ist Konkurs gegangen. Wir betrachten bei Investitionen immer einen Horizont von fünf bis acht Jahren. Gesamthaft ist aber nur eines von zehn Unternehmen so erfolgreich, dass man es einmal wird verkaufen können. So rechne ich auch.

Sie führen Statistik: In den letzten zwei Jahren sind sie 200 mal geflogen, kamen dabei 11-mal um die Welt und lebten durchschnittlich 3,7 Tage an einem Ort. Wie hält man das aus?
Ich habe für vieles Rituale. Ich höre etwa beim Anstehen am Flughafen Hörbücher. Weil ich so viel unterwegs bin, ist Fliegen für mich auch kein Stress mehr. Dazu kommt: Ich treibe viel Sport, habe eine gesunde Diät. Und das Ganze ist eine Einstellungssache. Ich entscheide, wann ich wo bin – es zwingt mich niemand dazu, so viel zu reisen. Heimat bedeutet im Übrigen für mich nicht, ein eigenes Bett zu haben, sondern die weltweit verteilten Freunde regelmässig zu sehen. Dort finde ich nebst Hotels und AirBnB auch immer einen Schlafplatz. Daran habe ich Spass.

Dieser Lebensstil kann auch kontraproduktiv sein, gerade wenn es um eine Partnerschaft geht. Sind Sie single?
Ja, das bin ich. Ich glaube es ist wie in vielen anderen Bereichen meines Lebens. Ich habe sehr konkrete Ansprüche und bin mir bewusst, dass ich in meiner jetzigen Situation keine 08/15 Beziehung führen werde, in der man zusammen wohnt, am Sonntag gemeinsam fernsieht und abends zu zweit kocht. Das nehme ich in Kauf, weil ich mich emotional momentan nicht niederlassen möchte. Wenn sich das ändert, würde ich meinen Lebensstil sicher anpassen. Wichtig ist mir, dass ich immer – egal in welchem Lebensbereich – bewusste Entscheidungen treffe. Das gibt mir einen inneren Frieden, später nicht mit Reue leben zu müssen.

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